Myelodysplastische Syndrome 

MDS

Myelodysplastische Syndrome stellen eine heterogene Gruppe klonaler Stammzellerkrankungen des Knochenmarks dar. Sie sind in der frühen Phase charakterisiert durch einen vermehrten Zelluntergang im Knochenmark und Zytopenien einer, zweier oder aller drei Zellreihen im peripheren Blut. Mit fortschreitender Erkrankung nimmt der Anteil der Leukämiezellen (Blasten) im Knochenmark und evtl. peripheren Blut zu. Bei 20 % oder mehr Blasten liegt dann definitionsgemäß der Übergang in eine akute Leukämie (sekundäre AML) vor.

Themen im Überblick

Häufigkeit/Inzidenz

  • MDS sind Erkrankungen des höheren Alters.
  • Das Durchschnittsalter bei Diagnose liegt bei 65 bis 70 Jahren.
  • Die Neuerkrankungsrate (Inzidenz) liegt bei ca. 5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner/Jahr für alle Altersgruppen und steigt bei den über 70-80 jährigen auf 30 – 50/100.000 E/Jahr.
  • Für Deutschland muss mit mindestens ca. 4.000 Neuerkrankungen/Jahr gerechnet werden (Germing U et al.,2004).

Symptome

Die typischen Symptome bei MDS ergeben sich aus den Auswirkungen der Zytopenien mit z.B. Abgeschlagenheit, Leistungsschwäche, Belastungsdyspnoe bei Anämien, Infektanfälligkeit und verzögerte Erholung von Infekten bei Granulozytopenien und Hämatom- und Blutungsneigung bei Thrombozytopenien. Je nach Kombination der Zytopenien können diese Symptome auch kombiniert auftreten.

Pathogenese/Entstehungsursachen

Ca. 85 % sind sog. „de novo“ Erkrankungen, d.h. das keine eindeutige auslösende Ursache zu erkennen ist. Man geht davon aus, dass hier mehrere Faktoren zur Entstehung beitragen (multifaktoriell). Hierzu zählen Alterung von Stammzellen und Anhäufung von genetischen Schäden, zunehmendes Versagen von Schutzmechanismen wie DNS-Reparatur, Immunüberwachung und Detoxifikation (Entgiftung schädlicher Substanzen) sowie eine gestörte Interaktion und Kommunikation mit dem Knochenmarksstroma (Umgebungszellen).

Ca. 15 % sind sog. „sekundäre“ MDS, die durch eine vorangegangene Therapie (Chemo- und/oder Strahlentherapie) einer malignen Erkrankung (solide Tumoren, Lymphome, Myelome u.a.) entstanden sind, man spricht dann auch von therapieassoziierten MDS (t-MDS). Zu den sekundären MDS zählen außerdem solche, die durch einen berufs- oder unfallbedingten langjährigen, intensiven Kontakt mit Lösungsmitteln (z.B. Benzol), Strahlung oder andere genotoxische (Gen-schädigende) Substanzen entstanden sind.

Bei nur etwa 1 % der MDS-Patienten lassen sich die Erkrankungen auf angeborene Defekte wie z.B. bei Fanconi-Anämie, Shwachman-Diamond-Syndrom, Diamond-Blackfan-Anämie, Dyskeratosis congenita, schwerer kongenitaler Neutropenie oder angeborene Mutationen der Gene GATA2, DDX41, RUNX1, CEBPA, ETV6 oder ANKRD26 zurückführen (Swerdlow, S. et al., 2017).

Diagnostik/Klassifikation

Bei Verdacht auf Vorliegen eines MDS ist ein Knochenmarkuntersuchung unverzichtbar. Hierfür wird das Knochenmark punktiert und eine Knochenmarkstanze für eine histologische Untersuchung sowie flüssiges Knochenmarkmaterial (Aspirat) für eine zellmorphologische Untersuchung (Zytomorphologie), Chromosomenanalyse (Zytogenetik), Genuntersuchungen (Molekulargenetik) und ggf. immunologische Untersuchungen (Immunphänotypisierung) gewonnen. Nur in der Kombination dieser Methoden ist es möglich eine exakte Diagnose zu stellen, die individuelle Prognose einzuschätzen und die für jeweils beste Therapie planen zu können.

Die Klassifikation der MDS erfolgt nach der neuesten Version der Weltgesundheitsorganisation (WHO-Klassifikation von 2016). Hierbei wird der Blastenanteil im Knochenmark und Blut, die Zytogenetik, das Vorhandensein und Ausmaß zellulärer Reifungsstörungen (Dysplasien) und zunehmend auch molekulargenetische Veränderungen berücksichtigt.

Chromosomenstatus/Zytogenetik

Bei ca. 50 % aller Patientinnen und Patienten mit MDS lassen sich klonale (nicht zufällige) Chromosomen-veränderungen im Knochemark und/oder Blut nachweisen (Haase D. et al., 1995).

Häufigste Chromosomenveränderungen:

    Deletion 5q (15 %)

    Komplexe Anomalien (≥3 oder mehr Anomalien) (15 %)

    Monosomie 7/Deletion 7q- (10 %)

    Trisomie 8 (8 %)

    Deletion 20q (5 %)

    Verlust des Y-Chromosoms (4 %)

    Trisomie 21 (3 %)

    Inversion3q/Translokation3;3 (2 %)

Chromosomenanomalien haben bei MDS sehr große diagnostische und prognostische Bedeutung (Schanz J, et al., 2012).

Genstatus/Molekulargenetik

Mit neueren Untersuchungsmethoden, wie dem „Next Generation Sequencing“ (NGS) lassen sich bei bis zu 90 % aller MDS-Patientinnen und Patienten Genmutationen nachweisen (Haferlach, T et al., 2014). Die am häufigsten mutierten Gene sind:

  •     SF3B1 (bis 30 %)
  •     TET2 (bis 25 %)
  •     ASXL1 (bis 20 %)
  •     RUNX1 (10 %)
  •     U2AF1 (10 %)
  •     SRSF2 (10 %)
  •     DNMT3A (bis 10 %)
  •     TP53 (bis 10 %)

Molekulargenetische Veränderungen sind zunehmend wichtig für die Diagnosestellung, differentialdiagnostische Abgrenzung von reaktiven vs. klonalen Veränderungen und einer verbesserten Prognoseeinschätzung.

Therapieoptionen/Behandlungsmöglichkeiten

Niedrigrisko MDS

  • Transfusionstherapie (Erythrozytenkonzentrate, Thrombozytenkonzentrate)
  • Antiinfektiöse Therapie (Antibiotika, Antimykotika)
  • Erythropoese-stimulierende Substanzen (gem. Hellström-Linberg-Score)
  • Thrombopoese-stimulierende Substanzen („off-label“)
  • Chelattherapie bei Transfusions-bedingter Eisenüberladung
  • Immunsuppressive-Therapie bei hypoplastischem MDS („off-label“)
  • Diverse experimentelle Therapien und „targeted“ Therapien in Therapiestudien

Hochrisiko-MDS

  • Demethylierende Substanzen (Azacitidine)
  • Niedrig-dosiertes Ara-C („off-label“)
  • Niedrig-dosiertes Melphalan („off-label“)
  • Intensive Chemotherapie wie bei AML (nicht empfehlenswert bei Hochrisiko-Zytogenetik)
  • Allogene Stammzelltransplantation (eingeschränkte Indikation)

Aktuelle Leitlinien zur MDS-Therapie finden Sie unter www.onkopedia.com

Literatur

Germing U et al. Haematologica 2004; 89: 905-910

Haase D, et al. Blood 2007;110:4385–95

Haferlach, T et al. Leukemia (2014), 28, 241-247

Schanz J, et al. J Clin Oncol. 2012;30:820-9

Swerdlow S. et al. (eds): WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues (Revised 4th edition). IARC: Lyon 2017

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