Akute Myeloische Leukämie 

AML

Akute myeloische Leukämien sind klonale Stammzellerkrankungen des Knochenmarks. Sie sind charakterisiert durch einen Reifungsstopp von Knochenmarkszellen und ein ungehemmtes Wachstum (Proliferation) leukämischer Zellen, sogenannter Blasten.

In der Regel werden diese Blasten auch in das periphere Blut ausgeschwemmt. Durch das starke Wachstum der Blasten kommt es im Knochenmark zu einer Verdrängung der normalen Blutbildung, sodass neben der starken Vermehrung der weißen Blutkörperchen (sog. Leukozytose) häufig ein Mangel an roten Blutkörperchen (Erythrozyten), eine Anämie und/oder ein Mangel an Thrombozyten (sog. Thrombozytopenie) auftritt.

Eine AML liegt definitionsgemäß dann vor, wenn 20 % oder mehr Blasten bei der mikroskopischen Untersuchung des Knochenmarks und/oder peripheren Blutes nachweisbar sind.

Themen im Überblick

Häufigkeit/Inzidenz

  • AML sind Erkrankungen des höheren Alters.
  • Das mediane Alter bei Diagnose liegt bei 70 Jahren.
  • Die Neuerkrankungsrate (Inzidenz) liegt bei ca. 3,5 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner/Jahr für alle Altersgruppen und steigt ab 70 Jahre auf >20/100.000 E/Jahr an.
  • Das Risiko während des Lebens an einer AML zu erkranken liegt bei etwa 0,5 %.

(SEER Daten 2012 -2014, seer.cancer.gov/statfacts/html/amyl.html).

Symptome

Die typischen Symptome bei AML ergeben sich aus den Auswirkungen der Zytopenien mit z.B. Abgeschlagenheit, Leistungsschwäche, Luftnot bei körperlicher Anstrengung, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Infektanfälligkeit, verzögerte Erholung von Infekten bei Mangel an Leukozyten sowie plötzliches Auftreten sehr schwerer Infektionen und Hämatom- und Blutungsneigung bei Thrombozytopenien.

Je nach Kombination der Zytopenien können diese Symptome auch kombiniert auftreten. Generell sind AML lebensbedrohliche Erkrankungen mit einem schnellen, akuten Verlauf und die Symptome entwickeln sich im Gegensatz z.B. zu MDS wesentlich rasanter und bedrohlicher.

Pathogenese/Entstehungsursachen

Rund 85 % sind sogenannte „de novo“ Erkrankungen, d.h. dass keine eindeutige auslösende Ursache zu erkennen ist. 

Etwa 10 – 20 % sind sogenannte „sekundäre“ AML, die durch eine vorangegangene Therapie (Chemo- und/oder Strahlentherapie) einer malignen Erkrankung entstanden sind; man spricht dann auch von therapieassoziierten AML (t-AML).

Ca. 5 % der t-AML entstehen nach Therapie einer nicht-malignen Erkrankung (z.B. rheumatoider Arthritis). Zu den sekundären AML zählen außerdem solche, die durch einen berufs- oder unfallbedingten langjährigen, intensiven Kontakt mit Lösungsmitteln (z.B. Benzol), Strahlung oder andere genotoxische (Gen-schädigende) Substanzen entstanden sind.

Bei nur etwa 1 % der AML-Patientinnen und Patienten lassen sich die Erkrankungen auf angeborene Defekte wie z.B. bei Fanconi-Anämie, Li-Fraumeni-Syndrom, Shwachman-Diamond-Syndrom, Diamond-Blackfan-Anämie, Dyskeratosis congenita, schwerer kongenitaler Neutropenie oder angeborene Mutationen der Gene GATA2, DDX41, RUNX1, CEBPA, ETV6, SRP72, TERC, TERT, oder ANKRD26 zurückführen (Döhner, H. et al., 2015; Swerdlow, S. et al., 2017).

Diagnostik/Klassifikation

Bei Verdacht auf Vorliegen einer AML ist ein Knochenmarkuntersuchung unverzichtbar. Hierfür wird das Knochenmark punktiert und eine Knochenmarkstanze für eine histologische Untersuchung sowie flüssiges Knochenmarkmaterial (Aspirat) für eine zellmorphologische Untersuchung (Zytomorphologie), Chromosomenanalyse (Zytogenetik), Genuntersuchungen (Molekulargenetik) und immunologische Untersuchungen (Immunphänotypisierung) gewonnen. Nur in der Kombination dieser Methoden ist es möglich, eine exakte Diagnose zu stellen, die individuelle Prognose einzuschätzen und die jeweils beste Therapie planen zu können.

Die Klassifikation der AML kann nach der FAB-Klassifikation erfolgen mit Berücksichtigung von Zytomorphologie, Zytochemie und Immunphänotyp (Bennett, J. et al., 1991). Nach der neuesten Version der Weltgesundheitsorganisation (WHO-Klassifikation von 2016) sind zytogenetische und molekulargenetische Veränderungen von entscheidender Bedeutung.

Diese charakterisieren die Gruppe der AML mit bestimmten genetischen Anomalien („AML with recurrent genetic abnormalities“). Weitere Gruppen stellen u. a. die AML mit Myelodysplasie-artigen Veränderungen und Therapie-assoziierte AML, dar (Arber, D. A. et al., 2016).

Chromosomenstatus/Zytogenetik

Klonale Chromosomenanomalien sind bei ca. 50 % der Patientinnen und Patienten mit de novo AML und bei ca. 70 % oder mehr der Patientinnen oder Patienten mit T-AML nachweisbar (Grimwade, D. et al.). Im Gegensatz zum MDS finden sich häufig balancierte Strukturveränderungen wie Translokationen und Inversionen.

Häufigste Chromosomenveränderungen:

  • Komplexe Amnomalien (>3 oder mehr Anomalien) (15 %)
  • Trisomie 8 (10 %)
  •  t(8;21) (7 %)
  •  Monosomie 7/Deletion 7q- (7 %)
  •  Inversion 16/t(16;16) (5 %)
  •  11q23-Translokationen (4 %)
  •  -5/5q- (4 %)
  •  t(15;17) (3-5 %)
  •  Trisomie 21 (3 %)
  •  Y-Verlust (3 %)

Die Zytogenetik zählt zu den wichtigsten Prognosefaktoren bei der AML auch in neueren Prognosesystemen (Grimwade, D. et al., 2010 und Döhner, H. et al., 2017, ELN-Recommendations). Weitere Informationen finden Sie unter „Prognosescores“.

Genstatus/Molekulargenetik

Mit neueren Untersuchungsmethoden, wie dem „Next Generation Sequencing“ (NGS) lassen sich bei fast allen AML-Patienten Genmutationen nachweisen. Im Median waren pro Patient 4 unterschiedliche Mutationen nachweisbar (Metzeler, K. M. et al., 2016).

Am häufigsten mutierte Gene:

  •     FLT3 (39 %)
  •     NPM1 (33 %)
  •     DNMT3A (31 %)
  •     NRAS (22 %)
  •     RUNX1 (15 %)
  •     TET2 (15 %)
  •     IDH2 (14 %)
  •     WT1 (13 %)
  •     ASXL1 (11 %)
  •     PTPN11 (10 %)
  •     SRSF2 (10 %)
  •     TP53 (9 %)
  •     CEBPA (8 %)

Molekulargenetische Veränderungen sind zunehmend wichtig für die Diagnosestellung, differentialdiagnostische Abgrenzung von reaktiven vs. klonalen Veränderungen und einer verbesserten Prognoseeinschätzung (Döhner, H. et al., 2017, ELN-Recommendations). Weitere Informationen erhalten Sie unter „Prognosescores“.

Bestimmte zytogenetische und/oder molekulargenetische Veränderungen sind Anlass für den Einsatz von maßgeschneiderten („tailored“) oder sogar spezifisch gezielten („targeted“) Therapien. Die Bedeutung der genetischen Befunde für diese Therapieformen wird in Zukunft mit der Entwicklung neuer Substanzen noch deutlich zunehmen.

Therapieoptionen/Behandlungsmöglichkeiten 

  •     Unterstützende Begleittherapie („best supportive care“)
  •     Transfusionstherapie (Erythrozytenkonzentrate, Thrombozytenkonzentrate)
  •     Antiinfektiöse Therapie (Antibiotika, Antimykotika)
  •     Diverse experimentelle Therapien und „targeted“ Therapien in Therapiestudien
  •     Intensive Chemotherapie (Eine intensive Chemotherapie hat bei AML kuratives Potenzial, das auch von der zugrunde-liegenden Genetik abhängt)
  •     Hochdosiertes Ara-C
  •     Anthrazykline
  •     Topoisomerase-Typ II-Hemmer
  •     „Targeted“ (gegen bestimmte genetische Anomalien gerichtete) Therapien
  •     ATRA/ATO-Therapie bei t(15;17) bzw. PML-RARA-Fusion
  •     Midostaurin bei FLT3-Mutationen
  •     Allogene Stammzelltransplantation
  •     Experimentelle Therapien in Therapiestudien
  •     Antikörpertherapien (z.B. gegen CD33)
  •     Inhibitoren gegen IDH1 und IDH2-Mutationen
  •     2. Generations-demethylierende Substanzen (Guadecitabine)
  •     Palliative, nicht auf Heilung ausgerichtete Therapie

Die folgenden Therapieformen können eine AML nicht heilen, aber das Befinden der Patientinnen und Patienten deutlich verbessern und ggf. den Erkrankungsprogress bei relativ guter Verträglichkeit verzögern und das Überleben verlängern

  •     Niedrig-dosiertes Ara-C
  •     Hydroxy-Harnstoff
  •     Demethylierende Substanzen (Azacitidine, Decitabine)

Aktuelle Leitlinien zur AML-Therapie finden Sie unter www.onkopedia.com

Literatur

Arber, D.A. et al. Blood 2016; 127: 2391-2405

Bennett, J. et al. Brit J Haematol 1991;78 (3):458-459

Döhner, H. et al. N. Engl. J. Med 2015; 373: 1136-52

Döhner, H. et al., Blood 2017; 129 (4): 424-47

Grimwade, D. et al. Blood 2010; 116: 354-364

Metzeler, K. M. Blood 2016; 128:686-698

Swerdlow S. et al. (eds): WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues (Revised 4th edition). IARC: Lyon 2017

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